Sonntag, 6. November 2011

Trinksitten


Wer glaubt, dass Trinken ein selbsterklärender Prozess ist, der irrt. In Spanien jedenfalls ist die Flüssigkeitsaufnahme mit skurrilen Riten verbunden - bei der Getränke wie Sidra oder Wein nicht unbedingt im Magen landen. Andreas Drouve wundert sich über Bräuche seiner Wahlheimat.

"Einen Eiskaffee, bitte." Überlegen Sie im Café genau, was Sie tun, bevor Sie diese Worte sprechen. Ich wette, dass Erwartungshaltung und Resultat erheblich voneinander abweichen. Falls jemand ein aus Mitteleuropas Eisdielen bekanntes Beiwerk aus Vanilleeis und Schlagsahnehaube erwartet - es wird Sie nie erreichen. Es sei denn, Sie sitzen gerade in einem Touristenort und konnten die Kaloriengranate auf Deutsch bestellen.
In Spanien ist Eiskaffee, café con hielo, ein Kombinat aus a) einem Tässchen frisch gebrühtem Espresso und b) einem ansonsten leeren Glas mit Eiswürfeln. Wer a) in b) kippt, macht es richtig. Fertig ist der Kaffee mit Eis. Meine spanische Tante Betty mag dergleichen, aber sie mag auch Stierkampf.
Für mich so richtig zum Ganzkörperschütteln ist ein Heißgetränk, dessen Unterschicht aus zähflüssiger, schwerstgesüßter Kondensmilch besteht. Auf den Boden abgesackt, mit Espresso übergossen, wartet sie auf den Umrührvorgang: café bombón, wörtlich "Kaffeepraline".
Dann besser ein carajillo, ein Kaffee mit einem gewichtigen Anteil an Brandy oder Trester, der überleitet auf alkoholisches Terrain, wo es bei Bier und Wein kommt, wie es kommt, was Größe und Stilreinheit des Gefäßes betrifft. Im Zweifel hält ein Wasserglas her.
Ein Meter Apfelweinstrahl
Ein solcher Typus - mit größtmöglicher Öffnung und dünnen Wänden - nimmt in der Nordregion Asturien den Apfelwein, Sidra, auf. Der Einschank ist mein Lieblingszeremoniell in Spanien und eröffnet einen Ablauf in mehreren Schritten, die ich stets dem Kenner überlasse.
Schritt eins des Rituals: Man nehme eine gut gekühlte Flasche Sidra und greife zum Glas.
Schritt zwei: Man bringe den Körper in senkrechte Lage, führe das Glas in der einen Hand möglichst weit unter Hüfthöhe und die Flasche in der anderen Hand gleichzeitig über den Kopf, vorzugsweise mit ausgestrecktem Arm.
Schritt drei: eingießen.
In diesem Moment zeigt sich, dass je nach Armlänge zwischen Flaschenhals und dem Boden des leicht schräg zu haltenden Glases ein Meter Apfelweinstrahl und mehr liegt. In Tateinheit zwischen langem Luftweg und brutalem Aufprall wird Sauerstoff gebunden, der die Sidra noch prickelnder und perliger macht. Gerade das ist es, was die Einheimischen lieben.
Als Begleiterscheinung bringt der Akrobatikbrauch mit sich, dass nicht alles sein Ziel erreicht, selbst bei den erfahrensten Kellnern in Asturiens Hauptstadt Oviedo nicht, die das Zeremoniell gerne in einer Variante mit einem Plus an Schwierigkeitsgrad vornehmen, nämlich ohne konzentriert hinzusehen. All das wirkt cool und abgeklärt, ist aber unwiderruflich an Verschüttung gekoppelt.
"Gespritzter" auf Spanisch
Ähnliches widerfährt jenen, die den Umgang mit dem Weinbeutel, bota de vino, nicht beherrschen. Zu Volksfesten bringen Traditionalisten diesen kleinen Ledersack mit, der andernorts als Souvenir verkauft wird, schwören auf die Frische des Inhalts und schöpfen bei jeder Gelegenheit aus dem Vorrat. Dabei gilt: Das Gefäß nie mit den Lippen berühren!
Der Auftakt des Autoserviervorgangs besteht darin, den schmalen Ausguss zu öffnen, den Kopf leicht in den Nacken zu legen und die bota de vino ein Stück weit weg vom Mund zu halten. Dann: den Einfallswinkel vorausberechnen, auf den Ledersack drücken, als wäre es ein Ballon oder Euter, und hoffen, dass der hervorschießende Strahl sein Ziel erreicht.
Zumeist tut er das bei Ungeübten nicht, was umgehend Erlebnisspuren auf T-Shirt oder Jacke nach sich zieht und dem Terminus "Gespritzter" zu einer neuen Nuance verhilft.
Ähnlich reaktionsschnell muss sein, wer einen weingefüllten, henkellosen Porrón zur Hand nimmt. Der Ausguss dieses Glasgefäßes ist lang, die Öffnung winzig, der Strahl Richtung Mund kann - dem Prinzip des Weinbeutels entsprechend - unerbittlich und punktgenau dorthin gelangen, wo man es nicht auf Anhieb erwartet. Kleidung, Oberlippe, Nase, Kinngrübchen, Wangen.
Feuchter, als man glaubt
Fast hätte ich der Verschüttung zweiten Teil beim Sidra-Genuss vergessen. Ist das Glas zu einem Fünftel oder Sechstel gefüllt worden, bedeutet das "voll". Mehr gibt es nicht. Dann schlucken Sie den trüben, fermentierten Inhalt in einem Zug weg, aber keinesfalls alles! Die Tradition will, dass im Glas ein Apfelweinrest zurückbleibt, den Sie kurz umschwenken.
Nüchtern betrachtet, hängt dies mit Hygienegründen zusammen. Das Glas soll vor seiner Weitergabe an den Nächsten irgendwie gereinigt werden - schließlich kommen traditionelle Freundesgrüppchen nur mit einem einzigen Behältnis aus. Das flüssige Überbleibsel kippen Sie - egal ob open air oder Kneipe - ohne Hemmungen auf den Boden und werden spätestens jetzt erklären können, warum dieser so klebt und dass Sie es nicht selber sind, der die ganze Zeit so säuerlich gerochen hat.
Bleibt abschließend die Erkenntnis: Spanien, das viele tausend Küstenkilometer, Flamingoseen und Marschen auf sich vereint, ist ein Land der Feuchtgebiete. Und davon gibt es mehr, als man glaubt.
 

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