Wer glaubt, dass Trinken ein selbsterklärender Prozess ist, der
irrt. In Spanien jedenfalls ist die Flüssigkeitsaufnahme mit skurrilen
Riten verbunden - bei der Getränke wie Sidra oder Wein nicht unbedingt
im Magen landen. Andreas Drouve wundert sich über Bräuche seiner Wahlheimat.
"Einen Eiskaffee, bitte." Überlegen Sie im Café genau, was Sie tun,
bevor Sie diese Worte sprechen. Ich wette, dass Erwartungshaltung und
Resultat erheblich voneinander abweichen. Falls jemand ein aus
Mitteleuropas Eisdielen bekanntes Beiwerk aus Vanilleeis und
Schlagsahnehaube erwartet - es wird Sie nie erreichen. Es sei denn, Sie
sitzen gerade in einem Touristenort und konnten die Kaloriengranate auf
Deutsch bestellen.
In Spanien ist Eiskaffee, café con hielo, ein Kombinat aus a)
einem Tässchen frisch gebrühtem Espresso und b) einem ansonsten leeren
Glas mit Eiswürfeln. Wer a) in b) kippt, macht es richtig. Fertig ist
der Kaffee mit Eis. Meine spanische Tante Betty mag dergleichen, aber
sie mag auch Stierkampf.
Für mich so richtig zum Ganzkörperschütteln ist ein Heißgetränk,
dessen Unterschicht aus zähflüssiger, schwerstgesüßter Kondensmilch
besteht. Auf den Boden abgesackt, mit Espresso übergossen, wartet sie
auf den Umrührvorgang: café bombón, wörtlich "Kaffeepraline".
Dann besser ein carajillo, ein Kaffee mit einem gewichtigen
Anteil an Brandy oder Trester, der überleitet auf alkoholisches Terrain,
wo es bei Bier und Wein kommt, wie es kommt, was Größe und Stilreinheit
des Gefäßes betrifft. Im Zweifel hält ein Wasserglas her.
Ein Meter Apfelweinstrahl
Ein solcher Typus - mit größtmöglicher Öffnung und dünnen Wänden -
nimmt in der Nordregion Asturien den Apfelwein, Sidra, auf. Der
Einschank ist mein Lieblingszeremoniell in Spanien und eröffnet einen
Ablauf in mehreren Schritten, die ich stets dem Kenner überlasse.
Schritt eins des Rituals: Man nehme eine gut gekühlte Flasche Sidra und greife zum Glas.
Schritt zwei: Man bringe den Körper in senkrechte Lage, führe das
Glas in der einen Hand möglichst weit unter Hüfthöhe und die Flasche in
der anderen Hand gleichzeitig über den Kopf, vorzugsweise mit
ausgestrecktem Arm.
Schritt drei: eingießen.
In diesem Moment zeigt sich, dass je nach Armlänge zwischen
Flaschenhals und dem Boden des leicht schräg zu haltenden Glases ein
Meter Apfelweinstrahl und mehr liegt. In Tateinheit zwischen langem
Luftweg und brutalem Aufprall wird Sauerstoff gebunden, der die Sidra
noch prickelnder und perliger macht. Gerade das ist es, was die
Einheimischen lieben.
Als Begleiterscheinung bringt der Akrobatikbrauch mit sich, dass nicht alles sein Ziel erreicht, selbst bei den
erfahrensten Kellnern
in Asturiens Hauptstadt Oviedo nicht, die das Zeremoniell gerne in
einer Variante mit einem Plus an Schwierigkeitsgrad vornehmen, nämlich
ohne konzentriert hinzusehen. All das wirkt cool und abgeklärt, ist aber
unwiderruflich an Verschüttung gekoppelt.
"Gespritzter" auf Spanisch
Ähnliches widerfährt jenen, die den Umgang mit dem Weinbeutel, bota de vino,
nicht beherrschen. Zu Volksfesten bringen Traditionalisten diesen
kleinen Ledersack mit, der andernorts als Souvenir verkauft wird,
schwören auf die Frische des Inhalts und schöpfen bei jeder Gelegenheit
aus dem Vorrat. Dabei gilt: Das Gefäß nie mit den Lippen berühren!
Der Auftakt des Autoserviervorgangs besteht darin, den schmalen
Ausguss zu öffnen, den Kopf leicht in den Nacken zu legen und die bota de vino
ein Stück weit weg vom Mund zu halten. Dann: den Einfallswinkel
vorausberechnen, auf den Ledersack drücken, als wäre es ein Ballon oder
Euter, und hoffen, dass der hervorschießende Strahl sein Ziel erreicht.
Zumeist tut er das bei Ungeübten nicht, was umgehend Erlebnisspuren
auf T-Shirt oder Jacke nach sich zieht und dem Terminus "Gespritzter" zu
einer neuen Nuance verhilft.
Ähnlich reaktionsschnell muss sein, wer einen weingefüllten, henkellosen Porrón
zur Hand nimmt. Der Ausguss dieses Glasgefäßes ist lang, die Öffnung
winzig, der Strahl Richtung Mund kann - dem Prinzip des Weinbeutels
entsprechend - unerbittlich und punktgenau dorthin gelangen, wo man es
nicht auf Anhieb erwartet. Kleidung, Oberlippe, Nase, Kinngrübchen,
Wangen.
Feuchter, als man glaubt
Fast hätte ich der Verschüttung zweiten Teil beim Sidra-Genuss
vergessen. Ist das Glas zu einem Fünftel oder Sechstel gefüllt worden,
bedeutet das "voll". Mehr gibt es nicht. Dann schlucken Sie den trüben,
fermentierten Inhalt in einem Zug weg, aber keinesfalls alles! Die
Tradition will, dass im Glas ein Apfelweinrest zurückbleibt, den Sie
kurz umschwenken.
Nüchtern betrachtet, hängt dies mit Hygienegründen zusammen. Das Glas
soll vor seiner Weitergabe an den Nächsten irgendwie gereinigt werden -
schließlich kommen traditionelle Freundesgrüppchen nur mit einem
einzigen Behältnis aus. Das flüssige Überbleibsel kippen Sie - egal ob
open air oder Kneipe - ohne Hemmungen auf den Boden und werden
spätestens jetzt erklären können, warum dieser so klebt und dass Sie es
nicht selber sind, der die ganze Zeit so säuerlich gerochen hat.
Bleibt abschließend die Erkenntnis: Spanien, das viele tausend
Küstenkilometer, Flamingoseen und Marschen auf sich vereint, ist ein
Land der Feuchtgebiete. Und davon gibt es mehr, als man glaubt.
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